Von Florian Burkhardt
Die Olympischen Spiele tragen mehr als jede andere sportliche
Veranstaltung auf der Welt ein Ideal in sich, ein Ideal, das auf
Völkerverständigung und freundschaftlichem Wettbewerb beruht. In
der olympischen Charta heißt es: „The goal of Olympism is to place
sport at the service of the harmonious development of humankind, with
a view to promoting a peaceful society concerned with the
preservation of human dignity.“ Diese Spiele nicht zu
„politisieren“, wie es das Internationale Olympische Komitee
wünscht, ist eigentlich unmöglich, weil allein diese Ideale schon
zutiefst politisch sind.
Insofern widerspricht und widersprach es dem Ziel und Anspruch
Olympischer Spiele, wenn diese von Diktatoren und Tyrannen
instrumentalisiert werden. Es widersprach dem Ziel und dem Anspruch
Olympias, als die Chinesen 2008 eine Propagandashow aus den Spielen
machen konnten, in deren Schatten Meinungsfreiheit und die Rechte
ethnischer Minderheiten mit Füßen getreten wurden. Es widersprach
den Zielen und dem Anspruch Olympias als die Spiele 1980 in Moskau
von den Sowjets zur Profilierung im Kalten Krieg verwendet werden
konnte. Und es widersprach den Zielen und dem Anspruch Olympias als
die Spiele 1936 in Berlin von den Nazis missbraucht wurden, um für
ihr menschenverachtendes System in aller Welt zu werben, während
gleichzeitig für 2 Wochen so getan wurde, als würden Juden in
Deutschland nicht verfolgt.
Vielleicht sind die Spiele 1936 tatsächlich das beste Beispiel
dafür, wie wir mit dem was uns im Winter in Sotschi erwartet umgehen
müssen. Denn eine der stärksten und bekanntesten Szenen in der
Geschichte der Olympischen Spiele geschah in Berlin. Als der
afroamerikanische Leichtathlet Jesse Owens die Goldmedaille im
Weitsprung gewann (Nachdem ihm der deutsche Olympionik Lutz Long
einige Tipps gegeben hatte), wurde er von eben diesem umarmt und
unter den Augen Hitlers und der Weltöffentlichkeit wurde aus den
beiden Gewinnern des Wettbewerbs Freunde, ein Zeichen für das, was
Olympia ausmacht.
Auch das wünsche ich mir für die Spiele in Sotschi. Ja, Russland
verfolgt eine Politik, die alles mit Füßen tritt, wofür diese
Spiele stehen. Sie ist menschenverachtend und antidemokratisch und
doch wird sich nichts daran ändern, wenn der Westen die Spiele
boykottiert. Aber westliche Athletinnen und Athleten können, ebenso
wie Sportfunktionäre, ein Zeichen setzen. Sie können statt ihrer
Landesfahnen die Regenbogenfahne tragen, sie können ihre Bi- oder
Homosexualität offen ausleben und sie können Statements abgeben.
Für mehr als zwei Wochen wird die Welt und ganz Russland ans
Schwarze Meer blicken, was für eine Gelegenheit, um dem Regime mutig
die Stirn zu bieten. Es ist selbstverständlich, dass die Politiker
und Diplomaten nachziehen müssen, aber die Sportlerinnen und
Sportler in Sotschi haben die Chance, echten Mut und echte
Solidarität zu zeigen.
Deshalb würde ich mich auch dagegen aussprechen, die Olympischen
Spiele nur in solchen Länder zu veranstalten, die als „demokratisch“
gelten. Zum einen ist „demokratisch“ ein dehnbarer und
schwammiger Begriff und zum anderen sollte Olympia sich auch nicht
als eine Demokraten-Veranstaltung begreifen. Die Spiele waren von
Anfang an als Fest der Nationen gedacht, das der Völkerverständigung
dient. Aber und auch das ist wichtig: Hinter Olympia steht eine
Message, für die auch das IOC einzutreten hat. Lasst uns mit den
Olympischen Spiele in Länder wie Russland oder China veranstalten.
Aber lasst uns auch gleichzeitig Kritik üben, lasst uns für eine
bessere Politik und ein besseres Miteinander werben. Bislang haben
Diktaturen Olympia immer für sich selbst missbraucht, warum sollte
Olympia den Spieß nicht umdrehen? Man sollte als IOC ganz klar
sagen: „Ja, wir kommen in ein Land, dads nicht perfekt ist.“ Und
dann zeigen, wie es besser geht. Das widerspricht vielleicht dem Geist
des Kommerzes, der einer großen Sportveranstaltung innewohnt. Aber
es widerspricht ganz und gar nicht dem Geist Olympias.