Sonntag, 5. Juni 2016

Alkoholverbot während der EM - Muss das sein?

Von Benjamin Fuchs

Die Stadt Böblingen hat ein Verbot des Konsumierens und Mitbringens von branntweinhaltigen Getränken und Behältnissen aus zerbrechlichen Materialien sowie pyrotchechnischen Gegenständen im Bereich der Innenstadt verfügt. Das Verbot soll während der Fußball EM gelten. Hinter dem Juristendeutsch verbirgt sich das Verbot von Glasflaschen und hochprozentigen Getränken.

Das Amtsblatt hat es diese Woche in sich. In den amtlichen Bekanntmachungen, versteckt zwischen Ausschreibungen und Stellenangeboten der Stadt, verbirgt sich die fast zweiseitige Verfügung. Das Amtsblatt ist hier (S.17) zu finden. Das Verbot gilt vom 10.6. bis zum 10.7., also ab nächsten Freitag. Die Stadt hat scheinbar den spätmöglichsten Zeitpunkt zu Bekanntmachung gewählt.

Ob ein solches Verbot rechtlich erlaubt ist soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Vielmehr soll der Sinn und die Verhältnismäßigkeit des Verbots hinterfragt werden. Ein solches Verbot in räumlich stark eingegrenzten, so genannten “Fanzonen” wäre grundsätzlich auch nichts entgegenzusätzen, jeder Konzert oder Festival Besucher kennt solche Vorschriften. Jedoch bezieht sich dieses Verbot auf die komplette Innenstadt Böblingens. 
Zuvor soll auch klargestellt werden, dass das Verbot von Pyrotechnik begrüßt wird. 

Da die Mehrheit meist zu Bier und Wein greift, betrifft das Verbot der hochprozentligen Getränke eher eine Minderheit. Dennoch sollte ein Verbot, auch wenn es die Handlungsfreiheit weniger einschränkt, eine handfeste Begründung haben. In der Begründung steht, dass ein Verbot des Trinkens und Mitführens von hochprozentigen Getränken in der Innenstadt die Gefahr von gewalttätigen Auseinandersetzungen eindämmt. Der Begründung sind weder Erfahrungen anderer Städte mit einem solchen Verbot angefügt, noch auf Fakten verwiesen. An dieser Stelle lässt sich die Gegenthese aufstellen, dass ein solches Verbot dazu führt, dass die Leute ihren Vodka schnell noch runterkippen bevor sie in die Innenstadt gehen und somit niemanden mit dem Verbot geholfen wurde. Weiterhin kann man sich auch mit Bier und Wein betrinken, was in Plastikflaschen/-bechern weiterhin erlaubt ist. Eine handfeste Begründung?
Wer sich mehr zu der Thematik informieren möchte, dieser Artikel ist ein guter Startpunkt:

Das Verbot von Glasflaschen betrifft hingegen die Mehrheit. In der Begründung heißt es, dass beim Gebrauch von Behältnissen aus zerbrechlichen Materialien [...] zu teilweise schwere Verletztungen kommt und dass das Wegwerfen von Behältnissen aus zerbrechlichen Materialien zu einem gefährlichem Massenphänomen entwickelt hat. Man kann sich also an Glas schneiden und Leute schmeißen ihren Müll überall hin. Ob dies eine ausreichende Begründung für ein Verbot von Glasflaschen ist? Weder die körperliche Unversehrtheit noch den Jugendschutz, wie er weiter als Begründung aufgeführt wird, wird durch das Wegwerfen von Glasflaschen offensichtlich gefährdet. Wieder fehlt ein Verweis auf Fakten.
Auch hierzu gibt es ein interessantes Urteil des Verwaltungsgerichtshofs:


Allgemein muss sich die Stadt vorwerfen lassen, durch die kurzfristige Umsetzung einen Dialog zu dem Thema unterbinden zu wollen. Der Reichweite des Verbot angemessen wäre zudem eine klare Stellungnahme und ein offensichtlicher Hinweis auf der Titelseite des Amtsblattes oder sogar ein extra Informationsblatt. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich die Bürger wieder stärker einbringen möchten und eine Mitbestimmung einfordern, ein falsches Zeichen.

Montag, 4. Mai 2015

Europa - stark, friedlich und frei

Von Jan Hambach

Die Zukunft Europas - eine der wohl wichtigsten Fragen unserer Zeit wird auch im Moment wieder heiß diskutiert. Leider steht derzeit der Zwist zwischen dem griechischen Finanzminister Varoufakis und seinem deutschen Amtskollegen Schäuble im Vordergrund. Mit Ruhm bekleckert sich hier keiner der beiden - aber um diesen Streit soll es hier nicht gehen.
Europa ist ein Reizthema, wird aber in unserer Gesellschaft sehr unterschiedlich bewertet. Für viele ist klar: Eine Zukunft in einer globalisierten Welt mit aufstrebenden Schwellenländern und international agierenden Finanzmärkten kann ein kleiner Nationalstaat, wie es selbst Deutschland als bevölkerungsreichstes europäisches Land ist, nicht bestreiten.
Ein markantes Beispiel hierfür ist die Verfolgung von Steuerhinterziehung: Man kann zwar gute nationalstaatliche Regeln und Gesetze haben, das bringt aber nichts, wenn es ein Leichtes ist sein Geld ins nahe gelegene Ausland zu bringen. Aber auch auf anderen Feldern, wie dem Umweltschutz, der Energiepolitik und der Außenpolitik bedarf es europäischer Lösungen.

Es geht nicht darum die eigene Identität aufzugeben, wie viele es befürchten, sonder darum unseren Wohlstand zu sichern. Trotz eines gemeinsamen deutschen Staates gibt es in Bayern weiter Oktoberfest, Weißbier, Weißwurst und in Baden-Württemberg Brezeln, Spätzle, Häuslebauer usw. Ähnlich würde es in einem weiter integrierten Europa aussehen. Die traditionellen Identitäten können sogar förderlich sein für Marketing und Erscheinungsbild, wenn man es gleichzeitig schafft einer modernen Welt offen und tolerant zu begegnen. Die grün-rote, baden-württembergische Landesregierung hat dies eindrucksvoll bewiesen.

Das Hauptargument vieler Konservativer und Nationalisten ist die Unvereinbarkeit von Mentalitäten und Strukturen innerhalb der Europäischen Union. Zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung mag einigen dieses Argument bekannt vorkommen. Viele hielten die ehemalige DDR auch für nicht integrierbar und sahen keine Möglichkeit einer Angleichung. Man kann nicht bestreiten, dass es immer noch Unterschiede gibt, vor allem was Arbeitslosigkeit, Wahlbeteiligung, Lebenskosten, Löhne und Mieten angeht. Wir sind aber auf einem guten Weg, den wir gemeinsam entwickelt und vorangebracht haben.

Um die Lebensstandards in Europa anzugleichen wären gemeinsame Sozialsysteme, Mindestlöhne (am Durchschnittseinkommen bemessen, nicht nominal) und eine einheitliche Wirtschaftsförderung, kurz gesagt eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik ein wichtiger Schritt.
Eine gemeinsame Außenpolitik ebenso. Wir haben am Beispiel der Sanktionen gegen Russland gesehen, wie stark das Signal ist, das von einem Europa ausgeht, welches mit einer Stimme spricht. Diesen Erfolg sollte man nicht klein reden, man sollte ihn vielmehr unterstreichen.

Denn das große Problem der Europäischen Union ist vor allem ihr Image, ihre Institutionen und ihre Selbstdarstellung. Solange man sich auf die negativen Seiten konzentriert, Probleme in den Vordergrund stellt, streitet, bürokratischen Kleinklein präsentiert und nationalstaatliche Lösungen antreibt überzeugt man nicht mehr Menschen von dem Projekt Europa.

Wir sind der stärkste Wirtschaftsraum der Welt, stärker als die USA, stärker als China. Internationale Partner sind vor allem an Abkommen mit der EU interessiert, wir haben seit 70 Jahren Frieden, eine gemeinsame Währung, Kultur und vieles mehr. Das sind die Punkte die wir kommunizieren müssen, sie vermitteln Überzeugung, Stärke und Willenskraft, nur so gewinnt man auch die Menschen für sich.

Natürlich heißt das nicht, dass wir nicht weiter für mehr Rechte des Europäischen Parlaments und eine demokratisch gewählte Kommission kämpfen müssen, denn auch das würde die Akzeptanz der Europäischen Union erhöhen. Auch heißt es nicht, dass wir die Sparpolitik in der Merkel-Manier weiterführen. Aber gerade deshalb können wir froh sein über überzeugte Europäer, wie Martin Schulz, die tagtäglich für diese Ziele kämpfen. Aber auch Jean-Claude Juncker, zwar Christdemokrat, jedoch deutlich weiter links als Angela Merkel, geht mit seinem Investitionspacket in die richtige Richtung.

Weitere Möglichkeiten für ein vertiefte europäische Integration wären ein Art Finanzausgleich, der regionsbezogen finanzielle und wirtschaftliche Förderung geben könnte. Aber auch die Idee einer Europäischen Armee, wie erst zuletzt wieder diskutiert wäre ein wichtiger Schritt. Die daraus entstehenden Synergieeffekte in Verwaltung und Einkauf würden viel Geld sparen. Entscheiden könnte das Europäische Parlament.

Als erstes wäre also wichtig eine positive Außenwirkung herzustellen, auf die Erfolge zu verweisen, die aktuellen Streitereien zu beenden, die Krisenländer zu stützen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Damit würde man auch Draghis Geldpolitik Wirkung verleihen. Danach wäre es an der Zeit die europäische Integration voranzutreiben und Reformen zu diskutieren.


Währenddessen wird auf europäischer Ebene über TTIP, die Ukraine und den IS verhandelt. Keiner kann alleine, zusammen ist man stark

Montag, 26. Januar 2015

Keep calm, zumindest beim Euro


Von Felix Huber
Der Wahl in Griechenland habe ich relativ entspannt entgegen gesehen, zum einen weil schon lange absehbar war, dass das Linksbündnis SYRIZA stärkste Kraft wird und damit regieren wird und zum anderen, weil ich fest damit rechne, dass der Regierungswechsel kaum etwas ändern wird an der Großwetterlage in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Alexis Tsipras hat viel angekündigt und schon kurz nach der Wahl „das Ende der Sparpolitik“ ausgerufen, große Worte die eigentlich die großen Finanztempel in London und Frankfurt und die Regierungszentren in Berlin, Brüssel und Paris erbeben lassen müssten und den Verfall des Euros weiter beschleunigen lassen müssten. Doch tatsächlich haben die Worte bisher kaum gezündet. Klar, der DAX und andere Indizes sind heute Morgen erst mal abgerutscht, haben sich aber zur Mittagszeit schon wieder erholt gehabt und der DAX steht mittlerweile sogar leicht im Plus. Und klar, die FinanzministerInnen der Eurozone haben angekündigt sich erst mal zu einer Krisensitzung zu treffen, aber ich gehe auch hier jede Wette ein, dass es am Ende kaum Dinge geben wird, die die bisherige Politik in großem Rahmen korrigieren wird. Vielmehr wird man erst mal etwas in diese Richtung hören: „Europa ist ein Kontinent der Demokratie und natürlich erkennen wir die Entscheidungen in Griechenland, der Brutstätte eben dieser, an und gratulieren Alexis Tsipras zu seiner Wahl.“ Eventuell werden, vielleicht sogar überdeutlich, Warnungen dieser Standardfloskel hinterher geschoben. „Aber er sollte sich seiner Verantwortung gegenüber Europa bewusst sein, ein Entgegenkommen unsererseits wird es nicht geben, über beschlossene Dinge verhandeln wir nicht erneut.“ – irgendwas in diese Richtung. Tsipras seinerseits wird erst mal den Kämpfer geben, nach dem Motto, das werden wir noch sehen. Dem wiederum werden die Mächtigen der Euro-Zone kaum etwas entgegen setzen, weil Sie wissen, dass Tsipras nicht die harte Konfrontation, zur Not mit dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone, suchen wird, zumindest nicht in letzter Konsequenz. Denn nach allem was man so von Tsipras hört, ist er kein Anti-Europäer, er ist nicht Gegner des bisherigen europäischen Systems in seiner Gänze, im Gegenteil er will Griechenland in der EU halten. So hat er auch in seinen Wahlkampfauftritten nie EU-Institutionen angegriffen, er hat sich immer nur Personen vorgenommen und dies waren meistens Wolfgang Schäuble und Angela Merkel. Das mögen manche damit begründen, dass Kritik an Personen immer bildlicher ist, als Kritik an Institutionen. Das stimmt wahrscheinlich auch. Ich behaupte aber, dass er das auch getan hat um schon mal drohenden Enttäuschungen zu entgegnen. Und so wird man sich dann irgendwann doch treffen und über verschiedene Dinge sprechen. Das Ergebnis ist aber für mich auch hier vorprogrammiert: Große Änderungen wird es nicht geben. Tsipras wird die Gelegenheit nutzen und ankündigen, dass die Steuern für die griechischen Oligarchen steigen werden und er Steuerschlupflöcher schließen wird. Die Eurozone wird das begrüßen und von guten Verhandlungen reden und evtl. auch die zeitlichen Fristen für verschiedene Kredite und Kreditversprechungen leicht lockern. Und wenn sich Tsipras gut schlägt, wird es vielleicht sogar einen erneuten Mini-Schuldenschnitt geben (über den – davon ist auszugehen – wird eh schon länger gesprochen), wobei penibel darauf geachtet werden wird, dass dieser nicht die öffentlichen Haushalte, sondern nur die restlich-verbliebenen privaten Geldgeber trifft, was übrigens auch ökonomisch sinnvoll ist.

Das war es dann aber auch schon. So weit, so gut, Europa bleibt auf dem richtigen und absolut notwendigen, wenn auch schmerzhaften, Weg, kein Grund sich weiter aufzuregen. – Könnte man meinen…

Eine Sache hat mich dann nach der Griechenlandwahl, überraschend, weil so nicht erwartet, doch schockiert: SYRIZAs Koalitionspartner, ANEL (zu Deutsch: Unabhängige Griechen), eine rechtspopulistische Partei koaliert mit einer sozialistischen Partei. Das ist aus den verschiedensten Gründen und Blickwinkeln verstörend. Vor allem wird es aber spannend zu sehen sein, wie die Politik in Griechenland fernab des Euros aussehen wird. ANEL, so wird immer wieder deutlich, spielt mit antideutschen, antieuropäischen und rassistischen Ressentiments und in diese Richtung darf eine Innenpolitik unter SYRIZA, nach eigenem Selbstverständnis, eigentlich nicht gehen.

Vielleicht wird das auch schon recht schnell zum Stolperstein der Koalition und es muss schon wieder neu gewählt werden, wobei das ein ziemlicher Gau wäre, immerhin treibt politische Instabilität die Wählerinnen und Wähler in der Regel immer weiter in die Arme von Extremisten.

Und das darf, egal wo, nicht passieren.

Bei so einem Szenario könnte ich der nächsten griechischen Wahl auch nicht mehr entspannt entgegen sehen…

Mittwoch, 30. Juli 2014

Die vielleicht schlechteste Kanzlerin der Bundesrepublik?

Von Jan Hambach

Eine Woche ist es jetzt her, dass Angela Merkel ihren 60. Geburtstag gefeiert hat. Viel wurde deshalb über die Kanzlerin geschrieben, allerdings wenig Kritisches. Sind wir schon in eine Art Resignation gegenüber ihrer Macht verfallen?

Wenn ja, dann zu unrecht, den die Kanzlerin bietet viel Angriffsfläche. Allerdings muss man erst eine sie schützende Wand durchdringen, die sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hat und welche aus Zurückhaltung und Distanzierung besteht.

Die Politikerin Angela Merkel funktioniert immer nur dann gut, wenn es nicht allzu politisch wird. Die innenpolitischen Probleme dieses Landes interessieren sie kaum. Alles, wofür sie dann am Ende doch widerwillig plädiert hat, geschah aus dem bloßen Willen der Machterhaltung: Mindestlohn und die Rente mit 63 für eine Große Koalition; Gauck (mit dem sie bis heute kein gutes Verhältnis hat) weil die FDP es so wollte und sie nicht anders konnte; Hilfen für Griechenland durch Druck Europas; Ausstieg aus der Atomkraft, um eine Wiederwahl nicht zu gefährden und und und… die Liste ist lang.

Zudem scheint ihr die langfristige Perspektive zu fehlen: Was passiert mit ihrer Partei nach ihrem Rücktritt? Wo steht die Bundesrepublik in 20 Jahren? Wohin steuert Europa? Gut festmachen kann man das an einem Kommentar zu den Plänen unserer Umweltministerin (Hendricks, SPD): Als diese bis ins Jahr 2020 reichten, soll Merkel das mit einem „Ach, dann“ quittiert haben.

In Angela Merkels Politik lässt sich kein Ziel erkennen, nichts zukunftsweisendes, keine Idee, kein großer Wurf. Entweder sie will nichts ändern, oder sie traut sich nicht. Beides ist beschämend. Sie begeht dadurch wenig Fehler, verhindert aber jeglichen Fortschritt.

Möglicherweise will sie ja noch in dieser Legislaturperiode zurücktreten, wie der SPIEGEL erst berichtete; passen würde das: Ihr Bild in der Öffentlichkeit würde nicht dadurch zerstört, dass man sie aus dem Kanzleramt jagen müsste, wie einst Kohl. Trotz allem würde ihre Partei dann am Boden liegen (viele ärgern sich jetzt schon über die merkelsche Reformierung der CDU, sowie die vielen wichtigen Ministerposten für die SPD) und auch in Deutschland wäre man nach über 10 Jahren Merkel nur dadurch weiter, dass die SPD bitter notwendige Reformen vorantreibt.

Merkels Gelassenheit in der nunmehr dritten Amtsperiode erschreckt viele in der Hinsicht auf eine immer größer werdende soziale Spaltung in Europa und der Bundesrepublik.
Hätte sie nicht schon aus historischer Sicht wissen müssen, was man mit einer überzogenen Sparpolitik anrichten kann? Auf Brüning folgte Hitler. Was derzeit in Griechenland passiert, ist Gift für die Demokratie. In Portugal wird der Ausstieg aus dem Rettungsschirm gefeiert, ein Arbeitslosengeld gibt es dort de facto nicht mehr.

Die Spähaffäre wäre wohl immer ohne Konsequenz geblieben, hätte der SPD-Parteivorstand nicht bei einer Telefonkonferenz die Idee einer Ausweisung des obersten Geheimdienstlers gehabt.

All das wird wenig, bis gar nicht thematisiert und wenn, dann nicht mit ihr in Verbindung gebracht. Man sieht: Resignation ist nicht nötig, Angriffsfläche vorhanden und ist Angela Merkel vielleicht sogar die schlechteste Kanzlerin der Bundesrepublik?

Dienstag, 10. Dezember 2013

Auf dem Weg zu einem gequälten Ja

Von Robin Voss

Nein, diese Überschrift habe ich mir nicht ausgedacht. So titelte am vergangenen Freitag (6.12.2013) die Südwest Presse auf Seite 3 ihren Bericht zum Mitgliederentscheid der SPD. Im letzten Absatz wird auch ein 21-jähriger Vorsitzender eines Juso-Kreisverbandes zitiert. Nämlich meine Wenigkeit.

„Seine Zustimmung gibt Voss vor allem wegen des arbeitspolitischen Teils. […] „Mir sind lieber vier Jahre der kleinen Schritte, als vier Jahre Stillstand in der Innenpolitik.““ Eine zugegebenermaßen sehr pathetische Formulierung.

Die große Koalition war nie, ist nicht und wird nie meine Wunschkoalition sein. Ich war am Wahltag dagegen, im Prinzip bin ich es immer noch. Und ja, der Koalitionsvertrag ist nicht der, den Peer Steinbrück mit Katrin Göring-Eckardt ausgehandelt hätte. Der Koalitionsvertrag mit der CDU ist auch kein großer Wurf. Er ist oft zu wage, es steht zu viel Prosa darin und manche Teile sind einfach nicht progressiv genug (oder auch nur ansatzweise progressiv): Die Energiewende wird ausgebremst, einen Schwenk in der Europapolitik gibt es auch nicht, die Gesundheitspolitik ist so lala (während die einseitige Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages einen Schritt zur Aufkündigung der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entspricht), die Flüchtlingspolitik ist ziemlicher Mist und die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften kommt auch nicht („Fun fact“: Das Wort „Homosexuell“ kommt kein einziges Mal im Koalitionsvertrag vor – autsch!).

Was in der Südwest Presse von meinem Statement nicht abgedruckt wurde: Es gibt viele kleine und auch große Dinge, die ohne uns nicht gekommen wären. Und genau diese Dinge will ich den Menschen nicht vorenthalten.

Die Formulierung „Der Koalitionsvertrag trägt eine sozialdemokratische Handschrift“ geht mir ehrlich gesagt zu weit, außerdem ist sie inzwischen ordentlich ausgelutscht und zu oft und zu Recht persifliert worden. Die Merkel-CDU zementiert den Status quo, setzt keine Impulse, weder konservative noch progressive, sie tut wenig. Ohne die SPD wäre gar nichts dabei rumgekommen.

Ausschlaggebend für mich waren im Prinzip schlussendlich 3 Dinge:

1.       Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn. Viele stoßen sich daran, dass er zu spät kommt. Richtig. Aber wenn wir den Koalitionsvertrag ablehnen, dann kommt er wohl so schnell gar nicht. Außerdem ist die Regelung, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften ihn gemeinsam aushandeln, in meinen Augen tatsächlich besser, als wenn der Bundestag ihn aushandeln würde. So wird der Betrag abseits des tages- und parteipolitischen Kuhhandels austariert („Gesteh mir dieses und jenes Gesetz zu und wir erhöhen nicht“ usw.).

2.       Die Regulierung der Leiharbeit. Maximale Überlassungsgrenze 18 Monate. Nach 9 Monaten muss der Leiharbeiter mindestens so viel verdienen, wie sein festangestellter Kollege. Auch mir ist schleierhaft, warum das erst nach 9 Monaten so sein soll und nicht ab der ersten Sekunde, aber ohne uns käme auch hier nichts.

3.       Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes und mehr Geld für die Pflege. Der Pflegesatz soll um 0,5% erhöht werden, wobei 0,1% für einen Fonds verwendet werden um weitere Erhöhungen abzumildern. Das klingt erst einmal negativ (schon wieder mehr Geld zahlen), aber gerade aus der Sicht von jungen Menschen ist das ein richtiger Schritt. Denn auch wir werden es erleben, dass unsere Großeltern und Eltern eines Tages pflegebedürftig werden. Und dann werden auch wir eine gute Pflegepolitik benötigen, die auch Geld bereitstellt. Und die Pflege ist die Achillessehne der deutschen Gesundheitspolitik, massivst unterfinanziert und überlastet.

Dies war wahrscheinlich auch nur das Mitgliedervotum möglich. Sigmar hat den Verhandlungsstandpunkt der SPD gestärkt, in dem er die Zustimmung auf die weniger kompromissbereite Basis verschoben hat. Auch das habe ich der SWP gesagt. Deswegen ist Sigmar zu danken.

Ich habe mit Ja gestimmt. Zwar mit Bauchweh, aber mit der Hoffnung, eine Verbesserung für viele Millionen Menschen in der Bundesrepublik zu erreichen. Und ich bin selbstbewusst, wenn ich sage, dass die Menschen das honorieren werden.


Der moralische Anspruch an die SPD war immer ein höherer als der, an die andere große Volkspartei. Von uns erwartet man tendenziell mehr: Mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Solidarität, mehr Politik für den so viel zitierten kleinen Mann und die so viel zitierte kleine Frau. Dem müssen wir jetzt gerecht werden. Ja zum Koalitionsvertrag.

Sonntag, 24. November 2013

Die überraschte Union. Oder: Warum eine grosse Koalition die CDU vor Herausforderungen stellt

Von Robin Voss

Lange hat sich der Rotstift Blog um eine Einschätzung zu den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU verwehrt. Jan Hambach hatte am 7.10. seine Einschätzungen zu den Koalitionsmöglichkeiten abgegeben. Aber eine Einschätzung zur GroKo haben wir/ich euch lange vorenthalten.
Lange zu Recht. Lange war nicht klar, wie die Standpunkte aussehen werden, lange war eine Einschätzung, über die Ausgangslage zum Mitgliederentscheid unklar.
Bis zum Bundesparteitag vergangenes Wochenende.
Die SPD-Basis wird einem Koalitionsvertrag mit der CDU nicht zustimmen. Nur unter einer Bedingung: Kernforderungen der SPD aus dem Wahlkampf werden umgesetzt. Und die CDU hat dies massivst unterschätzt.
Die CDU ging davon aus, dass ein Mitgliedervotum der SPD ein Klacks wird. Vielleicht hat das sogar Sigmar Gabriel gedacht. Oder – und das ist die wahrscheinlichere Variante – hat er das Mitgliedervotum heraufbeschwört um den Verhandlungsstandpunkt der SPD in den Koalitionsverhandlungen zu stärken. Der CDU war das nicht bewusst, bis die Bundesparteitagsdelegierten die SPD-Spitze in aberwitzigen Abstimmungen abgestraft haben. Die CDU ist ein Kanzlerwahlverein, ihr ist dieses Vorgehen nicht bekannt. Ihr war nicht bewusst, dass Sozialdemokraten an der Basis mit der CDU nichts anfangen können. Angela Merkel war im Wahlkampf, mit ihrer indirekten Aussprache für die grosse Koalition, mit der sie gute Erfahrungen gemacht haben muss - inhaltlich wie personell – nicht bewusst, dass die SPD-Basis diese Konstellation meidet wie der Teufel das Weihwasser. Was kommt dabei raus?
Die CDU lässt sich harte Standpunkte abringen. Frauenquote, Mindestlohn. Etc pp. Die Bildzeitung, in guter alter Fussballmarnier, zählt 10:2 für die SPD. Bei 14% Rückstand. Autsch.
Das bittere: Dem Sozialdemokraten aus Rangendingen, Rottenburg oder Münster interessiert das nicht. Ihn interessiert, was im 100 Tage-Programm stand.
Nach dem Bundesparteitag, mit besagten wahnwitzigen Wahlergebnissen, kriegt die CDU Torschusspanik. Gröhe und Konsorten sind davon ausgegangen, dass sie ihre Inhalte zum Nulltarif umgesetzt bekommen. Ätschbätsch. Dem ist nicht so. Aber auch die SPD kriegt ihre Standpunkte nicht zu 100% umgesetzt. Und genau das verärgert die Genossen aus Rangendingen, Rottenburg oder Münster, die Genossen an der Basis. SPD-Mitglieder lesen den Koalitionsvertrag nicht mit dem Gedanken „Jetzt schau ich mal was alles drinsteht“ sondern mit den Worten „Jetzt schauen wir mal was alles drinstehen könnte, wenn Peer Kanzler geworden wäre“. Und das killt die Koalitionsverhandlungen.
Bisher bin ich unzufrieden. Als aufgeschlossener Mensch warte ich den Koalitionsvertrag ab und werde erst mein endgültiges Urteil fällen, wenn der Koalitionsvertrag vorliegt. Aber ich gehe davon aus, dass ich dagegen stimmen werde. Ein Zitat von Regine Hildebrandt („Mit den Arschlöchern koaliere ich nicht.“) liegt mir fern, aber eine Koalition mit dem erklärten politischen Gegner lehne ich zunächst ab, da ich die Unterschiede als zu groß einschätze. Die CDU von Angela Merkel verkörpert für mich den politischen Stillstand der Bundesrepublik. Ich will weitergehen, ich will eine Wirtschaftspolitik, die Deutschland stärkt, aber nicht auf Kosten unserer europäischen Freunde. Ich will gerechte Löhne für meine Kollegen in der Fertigung. Ich will Gleichberechtigung meiner homosexuellen Freunde. Ich will die doppelte Staatsbürgerschaft für meine ausländischen Mitbürger. Ich will eine faire Rentenpolitik für die Älteren. Ich will eine gute Pflege für die Bedürftigen unserer Gesellschaft. Und ich will eine gute Gesundheitsverpflegung für alle Mitbewohner der Bundesrepublik. Kurz: Ich will ein progressives Deutschland.
Wenn die CDU dies meiner Partei in den Koalitionsverhandlungen gewährt stimme ich dem Koalitionsvertrag zu.
Wir hören voneinander im Dezember, dann werde ich euch mitteilen wie ich und die restliche SPD-Basis abgestimmt hat. Freut euch darauf.

Montag, 7. Oktober 2013

Die Koalitionsfrage


von Jan Sascha Hambach


Laut Umfragen will jeder Zweite die Große Koalition. Wir, die SPD sind uns unschlüssig. Viele Genossen lehnen sie ab, allerdings gibt es auch eine große Anzahl an Mitgliedern, die sie befürwortet, oder zumindestens nicht kategorisch ausschließen, auch wenn das in den Medien kaum Erwähnung findet. Dort ist nur zu lesen, dass einige aus der Führungsriege mit dieser Option liebäugeln.

Aber reden wir zuerst über die anderen möglichen Koalitionen und kommen dann zurück zur Großen Koalition. Die Möglichkeit der Neuwahl lasse ich außen vor, weil sie mir als die unrealistischste Variante erscheint und dem Land, der Demokratie und auch uns vermutlich mehr schaden, als nützen würde.
Ebenso ist eine Koalition mit CDU/CSU und den Linken nicht diskussionswürdig, weil sie unrealisierbar wäre.

Eine Minderheitsregierung der CDU, toleriert von Grünen und SPD wäre vorstellbar, aber angesichts der politischen Lage in Europa und unserem Grundgesetzt eher schwierig. Denn anders, als in skandinavischen Ländern sieht es unsere „Verfassung“ nicht vor Minderheitsregierungen die Verantwortung zu übertragen.

Eine durch die Linke gestützte Minderheitsregierung von SPD und Grünen wäre wohl eine sehr wackelige Konstruktion, vor allem bei den wenigen Sitzen, die die Parteien links von CDU/CSU mehr im Bundestag haben.

Das ist auch mein Hauptargument gegen eine Rot-Rot-Grüne Bundesregierung. Die Mehrheit ist zu klein. Es dürfte so gut wie keine Abweichler geben und das ist, hauptsächlich in Hinblick auf die West-Linke, ein Problem.
Langfristig muss es hier aber zu einer Lösung kommen, denn vorhandene linke Mehrheiten sollten auch genutzt werden.
Bei dieser Wahl ist allerdings auch kein Wählerwille hinter einer solchen Koalition zu erkennen, sondern höchstens eine rechnerische Mehrheit.

Eine Schwarz-Grüne Bundesregierung ist eine gute Alternative zu einer Großen Koalition.
Die inhaltlichen Differenzen sind überbrückbar, von manchen Landesverbänden (wie z.B. Baden-Württemberg) sogar erwünscht und in der CDU scheinen sich auch immer mehr Entscheidungsträger dafür zu interessieren.
Langfristig könnte uns aber, bei einem Funktionieren einer solchen Koalition, ein strategisch wichtiger Partner abhanden kommen, aber vielleicht bieten sich dann auch andere (Linke, FDP...)?

Zudem würde man dadurch auch die Opposition deutlich stärken, wodurch wir auch eine Verantwortung für das Land übertragen bekämen, was einige Unionspolitiker und Beobachter bisher nicht sehen. Sie wollen eine große Koalition herbeireden und unterstellen uns ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein.
Ein wunder Punkt, an dem wir uns, dieses Mal, nicht sofort aufreiben lassen dürfen. Denn die SPD hat auch in der letzten Opposition Verantwortung mitgetragen (Abstimmungen über Europapolitik) und käme dieser wie gesagt auch in der neuen Oppositionsrolle nach. Eine starke Demokratie braucht klare Unterschiede und keine, die Opposition erdrückenden, Mehrheiten, die dem linken und rechten Rand Zulauf bescheren würden.

Eines ist wichtig: Es besteht kein Automatismus für eine Große Koalition, vor allem, wenn andere Koalitionen möglich sind. Und damit zurück zum Anfang.
Im Wahlkampf, der ein klassischer Lagerwahlkampf war, ist eines deutlich geworden: Es bestehen deutliche Unterschiede in der Politik von CDU/CSU und SPD.
Diese Überzeugungen auf einen Nenner zu bringen ist keine leichte Aufgabe, vor allem weil bei CDU/CSU vieles im Ungefähren bleibt, oder einfach behauptet wird, so wie es ist, ist es gut. Die Konservativen haben sich hauptsächlich in Kritik geübt, aber selber eigentlich nichts vorgeschlagen, außer ein „Weiter so“.
Wir haben Ideen und Standpunkte und sind uns auch bewusst, wie wichtig viele unserer Themen sind. Auch die Bevölkerung steht bei vielen dieser Themen hinter uns.

Viele Genossen haben Angst eine Große Koalition, wie zwischen 2005 und 2009, könnte sich wiederholen. Allerdings spricht einiges dagegen eine solche Möglichkeit kategorisch aiszuschließen:

  • es gibt deutlichere Unterschiede in der Programmatik; man könnte also klar erkennen wer was umsetzt
  • Rot-Grün hat eine Bundesratsmehrheit
  • nach einem Scheitern droht aus Unionsperspektive Rot-rot-grün
  • trotz des deutlichen Abstands zwischen Union und SPD, sind CDU/CSU auf uns angewiesen und wissen, dass sie uns nur mit fairen Angeboten in eine Koalition bekommen und dass eine solche nur mit fairer Zusammenarbeit zu halten ist
  • nach der Großen Koalition von 1966 bis 1969 wurde Willy Brandt der erste sozialdemokratische Kanzler Deutschlands
  • aus Fehlern kann man lernen, warum also sollten wir uns nochmal so untergraben lassen wie vor der Wahl 2009?

Wir können auf jeden Fall gespannt sein, wer uns in Zukunft regieren wird und wie die Reaktionen nach den ersten Sondierungsgesprächen sind.